von Stefan Goes
In vielen Unternehmen gibt es die sogenannte „Vertrauensarbeitszeit“. Wikipedia definiert das so: „Vertrauensarbeitszeit (auch Vertrauensgleitzeit, Vertrauensarbeit oder Vertrauenszeit genannt) ist ein Modell der Arbeitsorganisation, bei dem die Erledigung vereinbarter Aufgaben im Vordergrund steht, nicht die zeitliche Präsenz des Arbeitnehmers. Es ist ein Modell der Arbeitsorganisation, nicht der Arbeitszeit, und der Arbeitnehmer ist selbst für die Gestaltung und Erfassung der Arbeitszeit verantwortlich. Die Verantwortung zur Einhaltung der gesetzlichen und tariflichen Arbeitszeitregelungen liegt jedoch weiterhin beim Arbeitgeber.“ (2.9.14)
Dieses mir grundsätzlich sympathische Modell möchte ich hier nicht diskutieren, sondern auf die praktische Umsetzung der Idee des Vertrauens eingehen.
Punkt 1: Wer vertraut wem? Und warum muss das explizit genannt werden? Im Umkehrschluss heißt das doch, dass sich die Vertragspartner normalerweise nicht gegenseitig vertrauen können?
Punkt 2: Viele Menschen begeben sich in Anstellungsverhältnisse, gerade weil sie nicht unternehmerisch denken möchten oder können. Das heißt, das ihnen entgegen gebrachte Vertrauen überfordert sie.
Punkt 3: Führungskräfte sind in einem solchen Konstrukt besonders gefordert, das in sie gesetzte Vertrauen zu erfüllen: Von Klienten höre ich, dass sie ackern, um alles zu schaffen, und dabei nicht darauf vertrauen können, quantitativ nicht überfordert zu werden. Gleichermaßen wird mir berichtet, dass erstaunlich viele Menschen Mittel und Wege finden, sich in diesem Arbeitsorganisationsmodell allein zu ihrem Vorteil einzurichten. Führungskräfte sind also besonders gefordert, Übereifrige vor sich selbst und den Anforderungen des Unternehmens zu schützen sowie Untereifrige davor zu schützen, sich durch Untererfüllung in eine unangenehme Situation zu bringen.
Wie bin ich eigentlich auf das ganze Thema gekommen? Wahrscheinlich, weil ich von zu vielen Beispielen weiß, wo der gute Ansatz durch den Mangel an Vertrauen, Respekt und Kooperativität zerstört wird. Und weil ich von sehr vielen Kunden höre, dass es recht egal ist, wie die Organisation von Arbeit formell geregelt ist, wenn Vertrauen, Respekt und Kooperativität (vor)gelebt werden.
Die Einführung von Vertrauensarbeitszeit ist ein schönes Beispiel dafür, dass es nicht mit dem Bekanntmachen des Modells getan ist. Gerade in Unternehmen, die mit hoher Arbeitsbelastung zu kämpfen haben, reicht es nicht, diese Form von Arbeitszeitflexibilisierung einzuführen und die Umsetzung auf die Mitarbeiter abzuwälzen, die Verantwortung für die Einhaltung einer gesunden Work-Life-Balance an den Mitarbeiter abzugeben. Nur durch die Einführung eines flexiblen Arbeitszeitmodells reduziert man ja nicht die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter. Denn eine offensichtliche Frage wurde schon davor nicht beantwortet: Auf was können wir verzichten?
Mitarbeiter, die für die Erfüllung der ihnen zugetrauten Aufgaben regelmäßig die Regelarbeitszeit überschreiten (und dazu gehört auch die Zeit in der man Abends noch eine Präsentation vorbereitet oder E-Mails liest) können langfristig nicht alle Aufgaben fertigstellen. Also muss man sich entscheiden, welche Aufgaben man abgibt oder vielleicht auch gar nicht mehr wahrnimmt. Wenn man aber diese Fragen regelmäßig klärt, dann ist das Einführen von Vertrauensarbeitszeit mit Sicherheit viel einfacher und gewinnbringend für alle Beteiligten.
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