Archiv des Monats “Januar 2015

Prontezza

von Stefan Goes

Viele Menschen wünschen sich „Schlagfertigkeit“. Typisch deutsch, dieses Wort, ziemlich grob. Und es stellt nicht dar, worum es geht. Als reaktionsschneller Mensch stehe ich ja nicht im Dialog herum, bereit, flink mit meiner Peitsche zuzuschlagen oder mit dem Florett zuzustechen. Wagen wir einen Blick über den Tellerrand:
Die Engländer nennen es „quick-wittedness“. Dieses Kompositum kommt der Sache schon näher: Ein wacher, schneller Geist wird benötigt. Sie verwenden auch „repartee“ (hierbei bitte Jack Sparrow vorstellen!) – ein Lehnwort aus dem Französischen. Hier ist es der „sens de la repartie“. Typisch französisch, möchte man sagen, denn ein Gespür wird verlangt und zwar für etwas recht Schräges: Die Umkehr vom Sich-Entfernen. Man kann es sich fast vorstellen: Man hat schon den Rücken gewandt und dreht sich noch einmal um für den treffenden Spruch. Im modernen Französisch steht das Wort auch im Kontext von „wieder aufbrechen“, „weiterfahren“, „wieder zurückkehren“, „wieder anfangen“. Sehr dynamisch. Das Hin und Her ist spürbar. Richtig angetan haben es mir aber die Italiener: Sie nennen es „prontezza (di parola)“. Da steckt das Schnelle drin. Übersetzungen sind bezeichnenderweise „Vorsicht“, „Beflissenheit“, „Bereitwilligkeit“, „Klugheit“, „Schlauheit“ oder „Wachsamkeit“.
So genau wollten Sie es wahrscheinlich gar nicht wissen. Deshalb hier ein paar Tipps für die Praxis:
Hürden sind: Überraschung, Empörung, Unterlegenheitsgefühl, Angst oder einfach Griesbrei zwischen den Ohren. Also alles, was Sie hemmt oder verlangsamt.
Sie brauchen: Humor, Sportsgeist, Spaß am Gerangel, Assoziationsvermögen, bildhaftes Denken, Mut, Witz, Frechheit. Ach so und Übung.
Üben können Sie Prontezza, indem Sie sich angewöhnen, mehr in Bildern oder Geschichten zu denken und zu sprechen. Sich darauf einzulassen, spontanen Assoziationen nachzugehen, auch wenn sie absurd wirken. Ferner hilft es, wenn Sie an Ihrem Selbstwertgefühl arbeiten, sollten Sie das als nötig empfinden. Prontezza geht nur leicht von der Zunge, wenn man sich ebenbürtig findet. Hilfreich hier finde ich, wenn man im Verhältnis mit der Gesprächspartnerin nach einer Gemeinsamkeit sucht, in der sie auf einer Ebene steht, und wenn es nur ist, dass Sie aus derselben Stadt stammen. Ganz wichtig ist der emotionale Abstand. Wenn Sie sich zu sehr angesprochen fühlen, wird Ihre Antwort plump oder bissig herauskommen – weil Sie sich ja eigentlich schlagen wollen.
Also, immer schön locker bleiben und mit offenen Augen durch die Welt laufen. Und mal ’ne dicke Lippe riskieren, wie der Berliner sagt.

Grube_DB_Schlagfertigkeit

Erkennt man Lügner an ihrer Sprache?

von Karin Saal

Dass es gerade im Bereich von Sicherheitskontrollen, z.B. an Flughäfen, von enormer Bedeutung ist, Lügen schnell zu enttarnen, daran besteht kein Zweifel. Aber wie genau entlarvt man jetzt einen Lügner?

Bislang setzte das Sicherheitspersonal in fast allen Bereichen auf die Suche nach sogenannten suspicious signs, auf verdächtige Anzeichen in der Mimik und Gestik oder nonverbale Ausrutscher, die auf eine gewisse Nervosität, Anspannung oder Aggressivität der Fremden hinweisen. Bei dieser Methode liegt die Trefferquote jedoch bei unter 5%, so das Ergebnis eines sechsmonatigen Doppelblindversuches zur Flughafensicherheit.

In dieser Studie testeten die britischen Forscher Thomas Ormerod (University of Sussex) und Coral Dando (University of Wolverhampton) ihre neu entwickelte Befragungstechnik Controlled Cognitive Engagement (CCE) an sieben internationalen Flughäfen (Heathrow, Gatwick, Manchester, Schiphol, Paris-Charles de Gaulle, Mailand und Frankfurt am Main). Für ihre Studie ließen sie insgesamt 204 falsche Passagiere mit Lügengeschichten im Routinebetrieb fliegen. 97 der Sicherheitsbeamten wurden je eine Woche theoretisch sowie praktisch in die neue Methode eingeführt. Die CCE-Methode greift die Idee auf, dass Lügen kognitive Schwerstarbeit ist, da Wahrheit und Lüge gleichzeitig im Gehirn abgefragt werden müssen. Die CCE-Methode wurde daher so konzipiert, dass sie nur die Lügner unter Druck setzt. Für diejenigen, die die Wahrheit sagen, wirkt das Interview wie ein gemütlicher Smalltalk.
Konkret könnte eine solche etwa 3-minütige Befragung so ablaufen:

Zunächst stellt der Sicherheitsbeamte viele Fragen zur Herkunft und Identität (etwa: „Woher kommen Sie?“, „Wo arbeiten Sie zurzeit?“). Anhand der Antworten erfolgt dann in einem nächsten Schritt die Befragung nach bestimmten, oft winzigen Details, die man wissen müsste, hätten die vorher gemachten Angaben gestimmt. So kann beispielsweise nach der Anzahl der U-Bahn-Stationen, die man auf dem Arbeitsweg zurücklegen muss, gefragt werden oder nach einer Baustelle, die derzeit den gesamten Verkehr lahmlegt. Wer vorher die Wahrheit gesagt hat, der gerät durch solche Fragen nicht unter Druck, ist eventuell etwas verwundert oder sogar belustigt.

Die Ergebnisse der Studie zeigen nicht nur die Überlegenheit der CCE-Methode gegenüber der geläufigen Suche nach den suspicious signs, sondern auch Auffälligkeiten im Verbalverhalten der Lügenden. Während ihre Ausführungen zu Beginn des Interviews noch detailreich und lang sind, nehmen sie im Verlauf und bei zunehmender Komplexität der Fragen immer mehr an Detailgrad und Länge ab. Zudem versuchten die Interviewten häufig, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken.

Für mich stellt sich die Frage, wie das Sicherheitspersonal denjenigen auf die Spur kommen soll, die nur in einem winzigen Detail lügen, z.B. über das Ziel und den Zweck ihrer Reise. Auf Fragen nach Herkunft und Identität könnten sie ja ebenfalls entspannt reagieren, da sie hier gar nicht lügen müssen. Wie wollen die Sicherheitsbeamten also erkennen, in welchem Detail der Befragte lügt, wenn nicht seine gesamte Identität gefälscht ist?

Außerdem frage ich mich, ob und wie eine einfache 2-wöchige Schulung des Sicherheitspersonals ausreichen kann, um solch komplexe psychologische Einschätzungen vornehmen zu können. Wären hier nicht ausgebildete Psychologen oder Linguisten die richtige Besetzung?

 

Quellen:

http://m.welt.de/gesundheit/psychologie/article135808269/Neue-Psycho-Methode-enttarnt-Luegner-schnell.html (12.01.2015)

http://www.spektrum.de/news/wie-man-betrueger-enttarnt/1317228 (12.01.2015)

Ormerod, T. C., & Dando, C. J. (2014, November 3). Finding a Needle in a Haystack: Toward a Psychologically Informed Method for Aviation Security Screening. Journal of Experimental Psychology: General. Advance online publication. http://dx.doi.org/10.1037/xge0000030