von Stefan Goes
Meine Mutter schenkt mir hin und wieder kleine Zettel, auf die sie Aphorismen aus allen möglichen Kulturkreisen getippt hat. Neulich bekam ich diesen:
Dieser Satz ist bei 5.Mose 6:6 zu finden, wo Mose ihn zu den Israeliten sagt. In der Lutherbibel von 1912 findet er sich so übersetzt wieder: „Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du ‚zu‘ Herzen nehmen.“
Rabbi Mendel von Kotzk weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass es „’auf‘ deinem Herzen“ heiße.
Grammatikalisch geht das, aber semantisch ist es ungewöhnlich. Wir sind eher an Wendungen mit „in deinem Herzen“ gewöhnt. Deshalb horchen wir auf. Diese Übersetzung gefällt mir nicht nur als Rhetoriker gut wegen des Überraschungseffektes, sondern vor allem als Mensch: Es ist doch ein wohltuender Gedanke, dass Worte bereit liegen könnten, um zu wirken, sobald man sie für sich annehmen kann. Wie eine metaphysische retard-Salbe, falls es so etwas gibt. Ich habe das oft schon selbst erfahren, dass ich einen bestimmten Satz oder Hinweis erst nach langer Zeit verstehen oder annehmen konnte.
Rabbi Menachem Mendel von Kotzk (* 1787 in Bilgoraj; † 1859 in Kotzk) war ein chassidischer Rabbiner. Von 1834 bis zu seinem Tode war Menachem Mendel Rabbiner in Kotzk (Kock) bei Lublin. Er forderte einen beständigen, angespannten Kampf gegen den Egozentrismus.
Sein Schwerpunkt lag auf Emet, der Wahrheit. Um das Ziel der Wahrheit zu erreichen, war er bereit, alles andere zu opfern. Es gebe nur eine Wahrheit, und alles außerhalb der Wahrheit sei falsch, am schlimmsten seien jedoch die Nachbildungen der Wahrheit, und zwar umso mehr, je näher sie der Wahrheit kommen. Diese Wahrheit könne nur durch absolute Freiheit erreicht werden, das bedeute, äußerem Druck nicht nachzugeben, Verzicht auf Selbstgefälligkeit und Gefälligkeiten für andere. Er predigte keine Askese oder Verneinung des Diesseits, sondern verkündete, dass der Mensch auf der Suche nach der Wahrheit oftmals gegen sich selbst und die Gesellschaft ankämpfen muss. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Menachem_Mendel_von_Kotzk)