Alle Artikel in der Kategorie “Allgemeines

Spontan-Logik vs. Denken

von Stefan Goes

Auf dem Fußweg vor meinem Büro kam mir gerade ein nicht mehr ganz junger junger Mann auf seiner smaragdmetallicgrünen Vespa mit laufendem Motor entgegen. Er blickte mir fest in die Augen und fuhr an mir vorbei. Das war eng. Warum er das wohl tat? Nahe liegende Erklärung: Er hätte sonst auf der Straße entgegen der Fahrtrichtung fahren müssen. Das hätte ihn im Zweifelsfall €25 gekostet. Auf dem Fußgängerweg aber nur €15. Eine logische Entscheidung also, wenn man den Bußgeldkatalog im Kopf hat. Dies dürfte hier nicht der Fall gewesen sein, obwohl er ziemlich unrasiert war. Den Führer des Kraftrades leitete wohl eher eine spontan-logische Entscheidung.
Spontan-Logik liegt vor, wenn ohne großes Denken aus der Situation heraus scheinbar logisch entschieden wird. Z.B. „Also auf dem Fußweg darf man ja in beide Richtungen und ich lass‘ ja auch nur rollen…“. Diese spontan-Logik führt oft in die seltsamsten oder unangenehmsten Situationen; Hollywood und Till Schweiger wissen darum. Der große Vorteil dennoch: Es wird entschieden. Und ein Bedürfnis nach schneller, befriedigender Lösung wird erfüllt.
Denken hingegen führt häufig zu einer wirklich sinnvollen Entscheidung (ja ich weiß, das muss man können und Information braucht man auch noch). Der Nachteil hier: Es dauert oft zu lange oder man kommt zu keiner Lösung. Und oft ist die sinnvolle Lösung nicht emotional sättigende.
Wenn ich also spontan entscheiden sollte, würde ich logischerweise Spontan-Logik wählen.

Die Mindestlohnfalle

von Stefan Goes

Neulich saß ich abends im Restaurant eines guten Hotels mit gehobener Küche. Am Nebentisch unterhielt sich der Besitzer mit einem befreundeten Ehepaar über dies und das. Bald kamen sie auch auf den Mindestlohn und seine Auswirkungen auf das Gastgewerbe zu sprechen. Alle drei waren sich in ihrer Empörung über diese Zumutung einig. Der Gastronom führte aus, dass er als Konsequenz die von ihm freiwillig gegebene Pause von 25 Minuten gestrichen habe, denn die MitarbeiterInnen müssten auch ihren Beitrag leisten. Er wolle ja in der Lage sein, auch mal eine Cola oder ein Stück Kuchen gratis an sie abzugeben. Mein Appetit auf das gute Essen war danach stark eingeschränkt. Ich war erstaunt, dass er seinen sehr motivierten, perfekt ausgebildeten Servicekräften nicht schon  längst den Mindestlohn zahlte. Und das ungeschickte Vorgehen nach dem Prinzip „wenn ich leide, leidet ihr auch“ ließ mich ins Grübeln kommen. Gemeinsam getragenes Leid motiviert und vereint nur dann, wenn alle die Entscheidung zu diesem Weg gemeinsam getroffen und sich gemeinsam in das Leid begeben haben. Warum hatte er, wenn er schon meinte, an der Kostenschraube drehen zu müssen, nicht seine Leute um Ideen zur Kosteneinsparung gebeten? Vielleicht hätten sie sich sogar die Extra-Pause selbst verkürzt oder gestrichen?

Präsentieren 3.0: XXL-Merkkärtchen mit Show-Effekt

von Stefan Goes

Als ich mich neulich auf einen Vortrag über Sprachmagie vor 450 UnternehmerInnen vorbereitete, sah ich mich mit folgendem Dilemma konfrontiert:
Eine Präsentation per Beamer verbot sich aus zwei Gründen: Ich kann PPT nicht leiden und ich kann PPT nicht leiden.
Eine ganz freie Präsentation ohne Visualisierung verbot sich aus ebenfalls zwei Gründen: Die eine oder andere Grafik war erforderlich und ich neige zum Extemporieren und Hinfortmäandern.
Die Lösung fiel mir wenige Stunden vor dem Bühnenauftritt ein: Merkkärtchen XXL! Ich kaufte mir also flink 10 Foamboards im Format 70×100 und vier extrabreite edding-Marker in schwarz und rot/grün/blau. In 20 Minuten war meine Präsentation fertig: 11 Abbildungen der wesentlichen Inhalte meines Vortrages waren gezeichnet.
Mit denen lief ich also auf der Bühne umher und konnte sogar ins Publikum, um sie dem einen oder anderen Gast vor die Nase zu halten. Dies sorgte für viel Dynamik und Publikumsbeteiligung. War das Thema besprochen, warf ich den Karton hinter die Bühne und nahm den nächsten.
Der Erfolg war sehr gut. Die Gäste haben viel gelacht, sich das Wesentliche gemerkt und ich blieb in der Zeit und hatte eine Menge Spaß.
Der Einwand, Bühnenerfahrung, Extraversion und Mut zum Risiko seien nötig, ist zwar richtig, doch lässt sich die Methode auch von zurückhaltenden RednerInnen anwenden. Dynamik und Darstellungsweise einfach an die eigene Persönlichkeit anpassen! Probieren Sie es aus.

01_System_Mensch_Wein
Systemtheorie erklärt am Beispiel des Vortragsgastes

10_TRP_Bahnhof
Sprecherwechsel erklärt am Beispiel eines Bahnhofs

Prontezza

von Stefan Goes

Viele Menschen wünschen sich „Schlagfertigkeit“. Typisch deutsch, dieses Wort, ziemlich grob. Und es stellt nicht dar, worum es geht. Als reaktionsschneller Mensch stehe ich ja nicht im Dialog herum, bereit, flink mit meiner Peitsche zuzuschlagen oder mit dem Florett zuzustechen. Wagen wir einen Blick über den Tellerrand:
Die Engländer nennen es „quick-wittedness“. Dieses Kompositum kommt der Sache schon näher: Ein wacher, schneller Geist wird benötigt. Sie verwenden auch „repartee“ (hierbei bitte Jack Sparrow vorstellen!) – ein Lehnwort aus dem Französischen. Hier ist es der „sens de la repartie“. Typisch französisch, möchte man sagen, denn ein Gespür wird verlangt und zwar für etwas recht Schräges: Die Umkehr vom Sich-Entfernen. Man kann es sich fast vorstellen: Man hat schon den Rücken gewandt und dreht sich noch einmal um für den treffenden Spruch. Im modernen Französisch steht das Wort auch im Kontext von „wieder aufbrechen“, „weiterfahren“, „wieder zurückkehren“, „wieder anfangen“. Sehr dynamisch. Das Hin und Her ist spürbar. Richtig angetan haben es mir aber die Italiener: Sie nennen es „prontezza (di parola)“. Da steckt das Schnelle drin. Übersetzungen sind bezeichnenderweise „Vorsicht“, „Beflissenheit“, „Bereitwilligkeit“, „Klugheit“, „Schlauheit“ oder „Wachsamkeit“.
So genau wollten Sie es wahrscheinlich gar nicht wissen. Deshalb hier ein paar Tipps für die Praxis:
Hürden sind: Überraschung, Empörung, Unterlegenheitsgefühl, Angst oder einfach Griesbrei zwischen den Ohren. Also alles, was Sie hemmt oder verlangsamt.
Sie brauchen: Humor, Sportsgeist, Spaß am Gerangel, Assoziationsvermögen, bildhaftes Denken, Mut, Witz, Frechheit. Ach so und Übung.
Üben können Sie Prontezza, indem Sie sich angewöhnen, mehr in Bildern oder Geschichten zu denken und zu sprechen. Sich darauf einzulassen, spontanen Assoziationen nachzugehen, auch wenn sie absurd wirken. Ferner hilft es, wenn Sie an Ihrem Selbstwertgefühl arbeiten, sollten Sie das als nötig empfinden. Prontezza geht nur leicht von der Zunge, wenn man sich ebenbürtig findet. Hilfreich hier finde ich, wenn man im Verhältnis mit der Gesprächspartnerin nach einer Gemeinsamkeit sucht, in der sie auf einer Ebene steht, und wenn es nur ist, dass Sie aus derselben Stadt stammen. Ganz wichtig ist der emotionale Abstand. Wenn Sie sich zu sehr angesprochen fühlen, wird Ihre Antwort plump oder bissig herauskommen – weil Sie sich ja eigentlich schlagen wollen.
Also, immer schön locker bleiben und mit offenen Augen durch die Welt laufen. Und mal ’ne dicke Lippe riskieren, wie der Berliner sagt.

Grube_DB_Schlagfertigkeit

Freiheit vs. Kontrolle

von Stefan Goes

Aus unseren Gefühlen und Gedanken folgt unser Handeln. Dieses Handeln, ja oft sogar das Denken und Fühlen selbst, unterliegt dem Spannungsfeld aus Freiheit und Kontrolle:

Bild 2

Diese Spannung kann erstens in einem Menschen selbst zwischen Mitgliedern seines „inneren Teams“ ( Engelchen und Teufelchen, Hippie und Pastor) anliegen, zweitens zwischen einem Menschen und abstrakten Denkkonstrukten wie Werten, Ethik, Bräuchen, Regeln und Gesetzen oder drittens zwischen verschiedenen Menschen.
Diese Auseinandersetzung erfolgt vor dem Hintergrund dieser fünfgliedrigen Handlungsskala:

können – wollen – dürfen – sollen – müssen

Die unabwendbare Art des Abweisens

von Stefan Goes

Häufig sagen wir, um einem Thema auszuweichen „Darüber könntest du mit N. sprechen.“ (konstruktiv) oder „Das ist nicht mein Thema.“ (sachlich) oder vielleicht sogar „Das interessiert mich nicht.“ (ehrlich aber unhöflich). Auf diese Ausweichmanöver sind unsere Gesprächspartner vorbereitet; es fällt ihnen meist etwas dazu ein: „Ich halte dich aber für die richtige Person.“, „Na, ich finde schon und zwar, weil …“ oder „Da bin ich aber erstaunt.“. Großartig finde ich deshalb diesen Satz, den in einer Folge von Lilyhammer Frank Tagliano alias Giovanni Hendriksen anbringt: „Sie verwechseln mich mit jemandem, den das interessiert.“ Die Verantwortung liegt vollkommen beim Gesprächspartner, dem Dummerchen! Wirksam wie eine Neutronenbombe. Deshalb leider nur selten anwendbar. Schade.

 

Grade der Freiheit

von Stefan Goes

Menschen bewegen sich gewöhnlich in diesem Handlungsspektrum: können – wollen  – dürfen – sollen – müssen
Dieses Spektrum ist folgendermaßen definiert:

  • Das Können und das Wollen sind freie Handlungen
  • Das Dürfen unterliegt einer Erlaubnis, das Sollen einer Empfehlung durch gesellschaftliche, fremde oder eigene Werte oder Regeln
  • Das Müssen unterliegt einem Zwang durch gesellschaftliche, fremde oder eigene Werte oder Regeln

Wirklich freies Handeln liegt also nur im Wollen und Können vor.
Das Dürfen und Sollen ist bedingt frei, wenn die Erlaubnis oder die Empfehlung von mir selbst ausgeht.
Das Dürfen und Sollen sind eher unfreie Handlungen, wenn sie von anderen ausgehen.
Das Müssen seinerseits ist reiner Zwang, selbst, wenn ich ihn mir selbst antue.

Wenn also das Müssen und das Sollen die unfreiesten aller Handlungen sind, erstaunt es doch, dass so viele Menschen Sätze formulieren wie „Ich muss nachher noch…“, „Ich wollte eigentlich nicht aber ich hatte keine andere Wahl.“ Oder glauben, andere wirksam erreichen zu können, indem sie Dinge sagen wie „Vielleicht sollten Sie mal…“ oder „Sie müssen das doch verstehen.“

„Unterbrechen“ und „ins Wort fallen“: Fluch und Segen dieser Gesprächs-Methode

von Stefan Goes

Wer kennt sie nicht, diese Menschen, die andere – oft nicht einmal sich selbst – selten in Ruhe ausreden lassen. Und wer kennt sie nicht, diese Menschen, die eher dazu neigen, sogar noch einen (langen) Augenblick zu warten, bis sie auf einen Gesprächsbeitrag reagieren. Diese extreme der Organisation des Sprechwechsels empfinden wir in bestimmten Situationen als anstrengend oder sogar unpassend, in anderen Situationen hingegen als sinnvoll oder angenehm. Wie kommt das?
Werfen wir einen Blick auf häufige Motive, überhaupt das Wort ergreifen zu wollen:

  • Verstand: einen konstruktiven Beitrag leisten zu wollen
  • Gefühl: Aufmerksamkeit erhalten, dazu gehören, Anerkennung oder Liebe bekommen
  • Selbstwertgefühl: „Der Beitrag ist wertvoll, weil ich wertvoll bin.“
  • Beziehungsgestaltung: den Status in der Gruppe erhöhen
  • Spaß: „Mitspielen“ wollen, z.B. in kreativen Prozessen oder in scherzhaften Situationen

Für den einvernehmlichen Sprechwechsel gibt es verschiedene Regeln, die jedeR unbewusst oder bewusst kennt und anwendet. Der nicht einvernehmliche Sprechwechsel findet quasi gegen den Willen des oder der Sprechenden statt, in dem man diese unterbricht. Häufige Motive hierfür sind:

  • Ungeduld / Eifrigkeit: der einvernehmliche Sprechwechsel kommt etwas zu früh (-;
  • Vorwissen: Was meinE PartnerIn gerade berichten möchte, weiß ich schon.
  • Besserwissen: MeinE PartnerIn „erzählt Unsinn“; ich weiß es besser.
  • Machtanspruch: Wer das Rederecht verteilt, ist der oder die Mächtigste in der Gruppe. Wer ungestraft unterbrechen darf, hat Hochstatus.
  • Gefahr abwenden: MeinE PartnerIn ist im Begriff, sich selbst anderen oder mir durch IhreN Beitrag Schaden zuzufügen
  • Nähe: eng verwandt mit Vorwissen. Es gibt Situationen, in denen sich alle freudig gegenseitig ins Wort fallen und die Sätze der anderen beenden, weil sie einander so vertraut sind.

Leicht zu erkennen: In der Minderzahl sind partnerschaftliche Motive. Egozentrik überwiegt. Also: Lassen Sie sich selbst und andere öfter mal ausreden!

Demo-Kinder

von Stefan Goes

Wenn erwachsene Menschen protestierend für oder gegen etwas auf die Straße ziehen, tun sie dies oft lärmend, also mit Rasseln, Trommeln, Tröten und Pfeifen.
Ich kann mir nicht helfen: Das erinnert mich immer an hilflose, rebellische Kinder, die gegen ihre Eltern aufbegehren. Mit dem Fuß aufstampfen und sich mit den Fäusten trommelnd auf den Boden werfen, sozusagen. Finde ich würdelos. Wirkt ja schon bei einem Kind alleine nicht gut. Im Gegensatz dazu finde ich feinsinnige Sprechchöre oder gar stummen Protest sehr beeindruckend. Kann man sogar allein tun, ohne allzu eigenartig zu wirken.

Leere Signifikanten – in der Politik und in Unternehmen

von Stefan Goes

Gestern hörte ich das erste Mal etwas über Ernesto Laclaus Theorie der leeren Signifikanten. Das verdanke ich Dirk Nabers, Professor für politische Soziologie an der Uni Kiel, der uns unter anderem dies in kleinem Kreise näher brachte. Das war übrigens wie eine Wellness-Dusche für den Geist, erfrischend und anregend. Kam zur rechten Zeit, denn ich bereite gerade meinen nächsten Vortrag zum Thema Sprachmagie vor. Kaum zu glauben, wie viele von den Dingern in Angela Merkels Regierungserklärung am 13.3.14 zum Thema Ukraine stecken.
In Unternehmen vermehren sich die Biester in Krisenzeiten auch wie die Feldmäuse. Achten Sie mal darauf…